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HINTERGRUNDINFORMATION |"HÖFLICHE VERFOLGUNG“: VERFOLGUNG GETARNT ALS FORTSCHRITT

von Ellen Kryger-Fantini, J.D.

Im April 2016 erklärte Papst Franziskus in einer Predigt, dass es zwei Arten von Christenverfolgung gebe. Die erste äußere sich in Form von offener Gewalt gegen Christen, wie die gezielten Bombenanschläge auf Kirchen in Sri Lanka am Ostersonntag des Jahres 2019. Die zweite Form hingegen komme „höflich“ daher – „getarnt als Kultur, getarnt als Modernität, getarnt als Fortschritt“. Die Botschaft dahinter: „Wenn du dies nicht tust, wirst du bestraft: Du verlierst deinen Job und viele andere Dinge, oder du wirst fallen gelassen“, so Papst Franziskus.[1]

Die erste Art, also die gewaltsame Verfolgung von Anhängern vieler Glaubensrichtungen, ist in diesem Bericht und anderswo gut dokumentiert. Mit der zweiten, „höflichen“ Verfolgung – die ebenfalls zahlreiche Glaubensgemeinschaften in Entwicklungs- und Industrieländern betrifft – gehen Eingriffe in die Gewissens-, Meinungs- und Vereinigungsfreiheit sowie die Verweigerung des Zugangs zu bestimmten Arbeitsplätzen und Bildungsangeboten oder zu Justiz- und Rechtsdiensten einher; oft geschieht dies im Namen „neuer“ bzw. entgegenstehender Rechte. Im Jahr 2018 äußerte Erzbischof Paul Gallagher, Sekretär des Vatikans für die Beziehungen zu den Staaten, seine Besorgnis über „eine radikal individualistische Auslegung bestimmter Rechte sowie die Bestätigung ‚neuer Rechte‘.“[2]

So genießt beispielsweise in mehreren Ländern der OSZE-Region das Recht auf Verweigerung aus Gewissensgründen für Angehörige der Gesundheitsberufe oder Apotheker mit religiösen Vorbehalten keinen ausreichenden gesetzlichen Schutz mehr. Im Oktober 2019 wurde Papst Franziskus eine Erklärung gegen Sterbehilfe und ärztlich assistierten Suizid überreicht, die katholische, orthodoxe, muslimische und jüdische Vertreter unterzeichnet hatten. Ziel dieser Erklärung war es, „die Positionen der monotheistischen Religionen in Bezug auf ‚Werte und Praktiken, die für sterbende Patienten relevant sind‘ darzulegen“ und zu bekräftigen, dass kein Mitarbeiter im Gesundheitswesen „gezwungen oder unter Druck gesetzt werden sollte, entweder direkt oder indirekt zum absichtlichen und vorsätzlichen Tod eines Patienten durch assistierten Suizid oder irgendeine Form der Sterbehilfe beizutragen, insbesondere wenn dies den religiösen Überzeugungen des Dienstleisters entgegensteht“; die Verweigerung aus Gewissensgründen als solche „sollte respektiert werden.“[3]

Auch das Recht von Religionsgemeinschaften, eigene Schulen entsprechen ihrer Grundsätze zu betreiben, ist in mehreren Ländern gefährdet.[4] Zudem wird Absolventen bestimmter religiöser Hochschulen zunehmend der Zugang zu bestimmten Berufen verwehrt.[5] Eltern verschiedener Glaubensrichtungen protestieren gegen Regelungen, denen zufolge ihre Kinder am Unterricht in bestimmten Fächern teilnehmen müssen (z. B. Sexualkunde), deren Inhalte mit den Lehren ihrer Religion in Konflikt stehen.[6]

Eine besonders besorgniserregende Entwicklung im rechtlichen Bereich betrifft die Gesetzgebung in den Bereichen „Gleichstellung“ und Hasskriminalität. In die Tat umgesetzt, würden manche Gesetzesvorhaben Handlungen kriminalisieren, die folglich als Beitrag zum „Aufstacheln von Hass“ aufgefasst werden könnten. So könnte zum Beispiel das Äußern von Überzeugungen, die mit der Religion und der moralischen Lehre verschiedener Glaubensrichtungen (einschließlich Judentum, Islam und Christentum) übereinstimmen, als „Aufstachelung zum Hass“ ausgelegt werden –[7] selbst wenn diese Äußerungen im privaten Rahmen gemacht werden. Eine Erweiterung der Definition von „Hass“ könnte eine ernsthafte Bedrohung für die Ausübung der Grundrechte auf Religionsfreiheit und freie Meinungsäußerung darstellen.

Das Unvermögen, der Rolle der Religion – und der Bedeutung ihrer Ausübung im öffentlichen Raum für den Einzelnen – ein angemessenes Verständnis entgegenzubringen, „nährt weiterhin Gesinnungen und Manifestationen der Intoleranz und Diskriminierung gegen Christen, was man durchaus als ‚letztes akzeptables Vorurteil‘ in vielen Gesellschaften bezeichnen könnte“, so Erzbischof Gallagher.[8]

Dieser reduktionistische Ansatz zum Verständnis der Religionsfreiheit zielt darauf ab, Religionen „zum Schweigen zu bringen und auf die Verborgenheit des Gewissens jedes Einzelnen zu beschränken oder sie ins Randdasein des geschlossenen, eingefriedeten Raums der Kirchen, Synagogen oder Moscheen zu verbannen“, wie Papst Franziskus es ausgedrückt hat. Auf staatlicher Seite kommt dies einer radikalen Auslegung von „Säkularität“ gleich – obwohl es die Aufgabe einer Regierung ist, den öffentlichen Raum für alle Menschen (ob mit Religion oder ohne) offen zu halten.

QUELLEN

[1] Pope Francis, “Two kinds of persecution,” Morning Meditation in the Chapel of the Domus Sanctae Marthae, 12. April 2016; http://www.vatican.va/content/francesco/en/cotidie/2016/documents/papa-francesco-cotidie_20160412_two-kinds-of-persecution.html (abgerufen am 25. Januar 2021).

[2] “Celebrating the Universal Declaration of Human Rights”, Archbishop Paul Gallagher, Intervention of the Secretary for Relations with States at the Council of Europe for the celebration of the 70th anniversary of the Universal Declaration of the Rights of Man, 10th September 2018; https://press.vatican.va/content/salastampa/en/bollettino/pubblico/2018/09/11/180911d.html (accessed 1st March 2021).

[3] “Joint declaration against assisted suicide presented to Pope Francis”, by Carol Glatz, The Catholic Register, 3rd November 2019; https://www.catholicregister.org/item/30612-joint-declaration-against-assisted-suicide-presented-to-pope-francis (accessed  3rd March 2021).

[4] “President Biden Has Promised to Pass the Equality Act—Here’s How That Threatens Your Freedoms”, Alliance Defending Freedom, 18th February 2021; https://www.adflegal.org/blog/president-biden-has-promised-pass-equality-act-heres-how-threatens-your-freedoms (accessed 1 st March 2021).

[5] “Trinity Western University Community Covenant Agreement”, Trinity Western University; https://www.twu.ca/sites/default/files/community_covenant_june_25_2019.pdf, (accessed 21st April 2020).

[6] “Ontario Teachers’ Perceptions of the Controversial Update to Sexual Health and Human Development”, Canadian Journal of Education, Canadian Society for the Study of Education, 2019; file:///C:/Users/kink560/AppData/Local/Temp/3527-Article%20Text-14239-1-10-20190324.pdf

[7] “Scotland: Church leaders urge withdrawal of controversial section of Hate Crime Bill to allow ‘adequate consideration’”, Independent Catholic News, 12th February 2021; https://www.indcatholicnews.com/news/41533 (accessed 1st March 2021).

[8] Archbishop Paul Gallagher, Intervention of the Secretary for Relations with States at the 25th Ministerial Council of the OSCE in Milan, 7th December 2018; https://press.vatican.va/content/salastampa/en/bollettino/pubblico/2018/12/07/181207d.html (accessed 1st March 2021).