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HINTERGRUNDINFORMATION |EIN FENSTER ZUR SEELE: CHINA BEDROHT DIE RELIGIONSFREIHEIT

Kein Regime in der Geschichte war je erfolgreicher darin, George Orwells dystopischen Roman „1984“ Wirklichkeit werden zu lassen, als die Volksrepublik China. Tatsächlich ist der Unterdrückungsapparat, den die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) in den letzten Jahren aufgebaut hat, so fein abgestimmt, allgegenwärtig und technologisch ausgefeilt, dass der „Große Bruder“ aus Orwells Roman daneben wie ein Amateur erscheint.

Maßnahmen, die zunächst zur Überwachung der mehrheitlich muslimischen Uiguren in der Unruheprovinz Xinjiang eingesetzt wurden, halten mittlerweile im ganzen Land Einzug und machen China zu einem Überwachungsstaat mit 1,4 Milliarden Einwohnern. Ein Aspekt davon sind die „scharfen Augen“ – die Verbreitung hochentwickelter Sicherheitskameras und Datenscanner. Anders als herkömmliche Videoüberwachungsanlagen sind die neuen Geräte in der Lage, der Polizei hochauflösende Bilder von einzelnen Gesichtern zu liefern. In Ürümqi, der Hauptstadt der Provinz Xinjiang, hat die Polizei mehr als 18.000 Kameras zur Gesichtserkennung installiert, die rund 3.500 Wohnkomplexe der Stadt im Auge haben,[1]und in ganz China dürfte sich die Zahl der Sicherheitskameras im öffentlichen und privaten Raum bis Ende 2020 voraussichtlich auf 626 Mio. erhöhen.[2] Zudem sind landesweit an wichtigen Fußgängerkontrollpunkten Smartphone-Scanner installiert, die unbemerkt Daten von Passanten abgreifen.

Mithilfe spezieller Apps auf ihren Smartphones können Polizisten die gesammelten Daten dann auf gemeinsame Analyseplattformen hochladen, wie die „Integrierte Plattform für gemeinsame Operationen“, die derzeit in Xinjiang in Betrieb ist.[3] Auf diesen Plattformen werden die gesammelten Informationen verglichen und Personen gekennzeichnet, die sich mit bekannten „Querulanten“ treffen; Apps nutzen, die eine Verschlüsselung verwenden (z. B. WhatsApp); oder in ungewöhnlich hohem Ausmaß religiös aktiv sind.

In der Tat sind die Auswirkungen auf die Religionsfreiheit bereits spürbar. Religionsgemeinschaften, die als unmittelbare Herausforderung für ein atheistisches System wahrgenommen werden, das keine „Nebenbuhler“ duldet, stehen unter Beobachtung – ein Trend, der sich in der Zukunft noch verstärken wird. Die ungeheuerlichste Verletzung der Religionsfreiheit ist jedoch das Vorgehen gegen die uigurischen Muslime im Autonomen Gebiet Xinjiang. Im Rahmen der Kampagne „Hartes Vorgehen gegen Terrorismus“ wurden schätzungsweise eine Million[4] der insgesamt 13 Mio. turk-stämmigen Muslime[5] in „Umerziehungslagern“ interniert und „massenhafter willkürlicher Festnahme, Folter und Misshandlung“ ausgesetzt.[6] Diejenigen, die sich im Freien aufhalten, können der erzwungenen Sammlung biometrischer Daten und der Verfolgung durch omnipräsente, mit KI-gestützter Gesichtserkennung ausgestattete Kameras sowie Software, die Sprachnachrichten aufzeichnet, übersetzt und transkribiert, nicht entgehen – Werkzeuge, die eine gezielte staatliche Repression ermöglichen. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch stellte 2018 fest: „Drinnen werden Menschen für die friedliche Religionsausübung bestraft; draußen sind die Einschränkungen der Regierung bezüglich Religion so stringent, dass der Islam de facto verboten ist.“[7] Doch auch Christen sind im Visier der Überwachungs- und Repressionstechnologien. Berichten zufolge wurden Ende 2020 „über 200 Gesichtserkennungskameras in Kirchen und Tempeln in einem Kreis der Provinz Jiangxi installiert“: 50 in Kirchen der staatlich registrierten Drei-Selbst-Bewegung und beinahe 50 in 16 buddhistischen und taoistischen Gotteshäusern.[8]

Kirchen, die sich weigern, die Kameras zu installieren, wie z. B. die Zionskirche (eine der größten nicht registrierten Hauskirchen in Peking) werden geschlossen.[9] Ein weiteres Element des chinesischen Überwachungsstaats ist das sogenannte Sozialkreditsystem. Zwar existiert derzeit noch keine einheitliche landesweite Struktur; doch haben mehrere größere Kommunen (einschließlich Peking) Systeme eingeführt, in denen Individuen auf der Grundlage ihres „guten“ und „schlechten“ Verhaltens Reputationspunkte sammeln.[10]

Dabei kann „schlechtes Verhalten“ genauso in zu häufigen Gotteshausbesuchen bestehen wie in dem Versäumnis, der Polizei bei der Identifizierung von religiösen Dissidenten wie Falun-Gong-Mitgliedern zu helfen. Eine niedrige „soziale Kreditwürdigkeit“ kann es jemandem unmöglich machen, Zug- oder Flugtickets zu kaufen oder seinen Kindern einen Platz in einer begehrten Schule zu sichern. Die KPCh plant offenbar, dem ganzen Land ein integriertes Sozialkreditsystem aufzuzwingen. Das Konzept des Sozialkredits wurde erweitert, um ranghohe Mitglieder von Religionsgemeinschaften gesondert zu erfassen. Am 9. Februar 2021 führte das Staatliche Amt für Religiöse Angelegenheiten (SARA) eine Datenbank mit dem Namen „Administrative Maßnahmen für religiöses Personal“ ein, die auf alle Glaubensgemeinschaften anwendbar ist und Informationen über Geistliche, Mönche, Priester und Bischöfe enthält. In dem System sollen „Belohnungen“ genauso wie verhängte „Strafen“ (einschließlich der Aberkennung des geistlichen Amtes) und weitere Informationen aufgezeichnet werden.[11] Bad behaviours can include visiting houses of worship too frequently or failing to help the police identify religious dissidents such as Falun Gong members. Low social credit scores can make it impossible for individuals to purchase train or airline tickets, or secure places for their children in desirable schools. The CCP apparently aspires to impose an integrated social credit system on the entire country.

The social credit concept has been extended to include religious leaders. On 9' Die religiösen Oberhäupter sind verpflichtet, „die Führung der Kommunistischen Partei Chinas zu unterstützen, das sozialistische System zu unterstützen“, „sich gegen illegale religiöse Aktivitäten und religiösen Extremismus sowie gegen die Unterwanderung durch ausländische Kräfte, die sich der Religion bedienen, zur Wehr zu setzen.“[12] Samuel Brownback, US-Sonderbotschafter für internationale Religionsfreiheit, warnte davor, dass Chinas Methoden „die Zukunft religiöser Unterdrückung“ darstellten und religiöse Minderheiten künftig von einem System unterdrückt würden, „in dem sie nicht in der Gesellschaft leben und arbeiten und weiterhin ihren Glauben ausüben können.“[13]

Drei Merkmale des chinesischen Hightech-Leviathans sind besonders beunruhigend: (1) Die rasante technologische Entwicklung bedeutet, dass es unvermeidlich ist, dass das System noch ausgefeilter und umfassender wird; (2)[14]

3) das System ist so konzipiert, dass „gutes“ Verhalten belohnt und „schlechtes“ Verhalten bestraft wird. Von den genannten Merkmalen birgt das dritte möglicherweise die größten Gefahren. Denn es schafft starke Anreize für Chinas Bürger, mit dem Überwachungsstaat des Regimes zu kooperieren und ihn sogar zu lieben – ähnlich wie die fiktive Person Winston Smith am Ende von Orwells Roman dazu kommt, den „Großen Bruder“ zu lieben. So ist vielleicht das Einzige, was schlimmer ist als eine verhasste Diktatur, eine Diktatur, die sich weitverbreiteter Akzeptanz, Legitimität und sogar Zuneigung erfreut.[15]Wie Mark Warner, demokratischer Vize-Vorsitzender des Geheimdienstausschusses im US-Senat,

feststellte: „Die kommunistischen Parteiführer entwickeln ein Modell der technologischen Regierungsführung, das (...) Orwell zum Erröten bringen würde.”[16]

QUELLEN

[1] Paul Mozur and Aaron Krolik, “A Surveillance Net Blankets China’s Cities, Giving Police Vast Powers,” The New York Times, 17. Dezember 2019; https://www.nytimes.com/2019/12/17/technology/china-surveillance.html (zuletzt abgerufen am 8. Januar 2021).

[2] "China’s Smart Cities Development", Research Report Prepared on Behalf of the U.S.-China Economic and Security Review Commission, SOSi, Januar 2020; https://www.uscc.gov/sites/default/files/China_Smart_Cities_Development.pdf

[3] Kenneth Roth and Maya Wang, “Data Leviathan: China’s Burgeoning Surveillance State,” Human Rights Watch, 16. August 2019; https://www.hrw.org/news/2019/08/16/data-leviathan-chinas-burgeoning-surveillance-state; (zuletzt abgerufen am 8. Januar 2021).

[4] "Night Images Reveal Many New Detention Sites in China’s Xinjiang Region", by Chris Buckley and Austin Ramzy, New York Times, 24. September 2020; https://www.nytimes.com/2020/09/24/world/asia/china-muslims-xinjiang-detention.html

[5] "We must keep up pressure on China over abuse of Turkic Muslims", by Ellen Pearson, The Age, 20. Juli 2019; https://www.theage.com.au/world/asia/we-must-keep-up-pressure-on-china-over-abuse-of-turkic-muslims-20190719-p528w8.html (zuletzt abgerufen am 8. Januar 2021).

[6] “Eradicating Ideological Viruses, China’s Campaign of Repression Against Xinjiang’s Muslims", Human Rights Watch, 9. September 2018; https://www.hrw.org/report/2018/09/09/eradicating-ideological-viruses/chinas-campaign-repression-against-xinjiangs (zuletzt abgerufen am 8. Januar 2021).

[7] “Eradicating Ideological Viruses, China’s Campaign of Repression Against Xinjiang’s Muslims", Human Rights Watch, 9. September 2018; https://www.hrw.org/report/2018/09/09/eradicating-ideological-viruses/chinas-campaign-repression-against-xinjiangs (zuletzt abgerufen am 8. Januar 2021).

[8] "Facial Recognition Cameras Installed in State-Run Religious Venues" by Yang Luguang, Bitter Winter, 24. Oktober 2020; https://bitterwinter.org/facial-recognition-cameras-installed-in-state-run-religious-venues (zuletzt abgerufen am 8. Januar 2021).

[9] "China: Draft Regulations Limit Sharing Religious Information Online", 13. September 2018; https://www.csw.org.uk/2018/09/13/press/4069/article.htm

[10] Ibid.

[11] Ibid.

[12] “The ‘Big Brother’ of religions: Beijing’s new database”, by Wang Zhicheng, Asia News, 10' February 2021; http://www.asianews.it/news-en/The-‘Big-Brother’-of-religions:-Beijing%E2%80%99s-new-database-52311.html (last accessed on 8' January 2021).

[13] Ibid

[14] Bradley Jardine, “China’s Surveillance State Has Eyes on Central Asia,” Foreign Policy, 15. November 2019; https://foreignpolicy.com/2019/11/15/huawei-xinjiang-kazakhstan-uzbekistan-china-surveillance-state-eyes-central-asia/; (zuletzt abgerufen am 8. Januar 2021)

[15] “China’s Surveillance State Has Eyes on Central Asia”, by Bradley Jardine, Foreign Policy, 15th November 2019; https://foreignpolicy.com/2019/11/15/huawei-xinjiang-kazakhstan-uzbekistan-china-surveillance-state-eyes-central-asia/; (last accessed on 8th January 2021)

[16] “From AI to facial recognition: how China is setting the rules in new tech”, by James Kynge and Nian Liu, Financial Times, 7th October, 2020; https://www.ft.com/content/188d86df-6e82-47eb-a134-2e1e45c777b6 (last accessed on 8th January 2021).